Warum immer quälen?

Am Sonntag war es wieder soweit. Eine meiner Schnapsideen wurde in die Tat umgesetzt. „Schatz, ich laufe mal eben mit ein paar Kollegen den Halbmarathon in Hannover.“ Meine Frau verdrehte schon wieder die Augen und ahnte wohl schon, dass alles wieder einmal in einem planerischen Desaster enden würde. Und sie sollte recht behalten.

Irgendwie hatte ich mal wieder erfolgreich verdrängt, dass es sich um eine Großveranstaltung mit 22.000 Teilnehmern handeln würde. Ebenso, dass ich mit der Bahn anreisen und im Vorfeld am Veranstaltungstag noch meine Startunterlagen abholen sowie das ganze Organisatorische über mich ergehen lassen müsste. Der Sonntag war für die Familie also wieder einmal meinem „ich mach mal eben schnell ...“ zum Opfer gefallen. Zum Glück lieben mich alle drei so sehr, dass sie es mir schnell wieder verziehen haben. Schließlich war ich ja schon immer so.

 

Am Wettkampftag stand ich dann Mutterseelen alleine um 05:45 Uhr am Bahnhof Augustfehn um fast pünktlich nach Hannover aufzubrechen. Ich liebe es, wenn ein Plan funktioniert! Leider nur bis zum Bahnhof Bremen. Dort verkündete uns der nette Herr Lokführer, dass er einen Lokschaden hätte und wir nicht weiterfahren könnten. Nach Abwägung möglicher Optionen (Rückfahrt nach Hause und nicht antreten, Taxi nach Hannover und pleite sein oder gar laufen - was sind schon 100 KM -) wurde auf den IC eine Stunde später umdisponiert. Dieser hatte dann auch noch Verspätung und so blieben zwischen Ankunft in Hannover, abholen der Startunterlagen, umziehen, Abgabe des Kleiderbeutels, und Start (irgendwo dazwischen noch das obligatorische und glücksbringende an den Baum pinkeln) genau eine Stunde Zeit. Aber was jammere ich hier rum. Es hat ja am Ende wieder einmal alles geklappt.

 

Und dann war er wieder da: Der ständig gleiche Rennablauf!

 

Auf dem weg zum Start stelle ich mir immer die gleiche Frage: „Warum tust du dir die Scheiße eigentlich an?“ Wenn ich dann aber zusammen mit tausenden anderen im Startbereich stehe, der Moderator der Veranstaltung allen so richtig einheizt und die Musik eine leichte Gänsehaut erzeugt, dann ist das erst einmal vergessen. Der Startschuss fällt, das Läuferfeld setzt sich langsam in Bewegung und die Zuschauer feuern das erste Mal an. Geil! Der erste Gedanke: Jetzt nur nicht schon wieder zu schnell angehen!

 

KM 1: Schnell kommt die Erkenntnis, dass dieser Plan schon mal wieder fehlgeschlagen ist. Viel zu schnell angegangen. Wie immer! Aber hey, was soll schon schief gehen. Die ersten 5 KM fliegen dann auch nur so vorbei und ich denke innerlich: „Scheiße Junge, bis du gut drauf!“ Pustekuchen! Gegen Torheit helfen auch 13 Jahre Wettkampferfahrung nicht, wie sich in der Folge rausstellen sollte.

 

KM 10: Hä, was ziept denn da in der Wade und wieso schmerzt der Oberschenkel? Ich bin doch so gut drauf! Das kann doch gar nicht sein.

 

KM 12: Jetzt merke ich natürlich, dass das mal wieder großer Murks von mir war mit dem Anfangstempo und ich so langsam die Quittung für meinen Übermut erhalte. Jetzt bloß schnell ein Energy Gel reingedrückt und mit Wasser runtergespült. Dann fängt die große Rechnerei an: „Wenn ich den nächsten KM noch in 4:40 Minuten laufe, dann kann ich die restlichen in 5:05 Minuten laufen und komme trotzdem in 1:40 Stunde ins Ziel. Wenn ich aber den nächsten KM sogar in 4:35 laufe,  …“ So geht das dann immer weiter und weiter. Kilometer für Kilometer. Meistens habe ich nach 100 Metern wieder vergessen, was ich da gerade mühsam ausgerechnet habe.

 

KM 15: Ich bin mir sicher, dass es das erst einmal wieder gewesen ist mit diesen blödsinnigen Wettkämpfen. Bringt doch niemandem etwas. Wofür mache ich das eigentlich? Wenn ich jetzt da hinten in die U-Bahn steige und kurz vor dem Ziel wieder aussteige . . . Das bekommt doch gar keiner mit.

 

KM 17: Die U-Bahn habe ich bleiben lassen. Eher würde ich aufgeben als bescheißen. Aufgeben kam für mich aber noch nie in Frage, also geht es irgendwie weiter. Müsste nicht so langsam mal wieder eine Getränkestation kommen? Die letzte ist doch gefühlt schon wieder 10 KM zurück. Tatsächlich waren es wohl nur 500 Meter. Ich nehme mir fest vor ein Stück zu gehen, während ich trinke. Das ist vernünftig so. Mache ich dann aber doch nicht. Wenn ich jetzt aufhören würde, ich würde nicht wieder los laufen.

 

KM 19: Die Zuschauerdichte wird wieder größer. Ein großer Truck der Lufthansa wurde mit einer riesigen Musikanlage versehen aus der unglaublich laute und Bass lastige Musik hämmert. Der KM fliegt nur so vorbei. Also gefühlt! Für außenstehende versucht da wahrscheinlich gerade eine Schildkröte mit einem Rollator ein Stück vorwärts zu kommen.

 

KM 20: Immer mehr Zuschauer sind jetzt wieder an der Strecke und immer lautere Musik schallt über die Stadt. Ein leichtes Kribbeln unter meiner Kopfhaut kündigt wahrscheinlich einen Schlaganfall an. Den werde ich wohl erleiden, wenn ich in diesem Tempo auch nur noch einen KM weiterlaufe. Darauf kann ich jetzt aber keine Rücksicht mehr nehmen, denn am Ende der Straße steht das große ZIEL Schild. Schon dröhnt die vertraute Stimme des Moderators durch die Gasse. Meine Beine spüre ich eh nicht mehr. Mein Kopf kribbelt weiter und der Rest des Körpers ist Gänsehaut pur, weil die Leute an der Stecke so durchdrehen.

 

KM 21: Neben mir wird ein Marathoni - von zwei anderen gestützt – die letzten Meter ins Ziel geschleppt. Komm Junge, zieh durch will ich ihm zurufen. Da fällt mir ein, dass ich ja gar keine Luft mehr bekomme um das zu tun. Muss er sich wohl alleine motivieren oder liegen bleiben. Ist halt ein knallharter Straßenwettkampf hier.

 

KM 21,0975: Endlich die Zielmatte. Erst einmal das Wichtigste erledigen: Uhr anhalten, Zeit ablesen und direkt in die Analyse gehen. 1:39:07 Stunden. Für meine geringen Trainingsumfänge eigentlich eine sensationelle Zeit.  Allerdings, . . . Nur 8 Sekunden schneller und es wäre ne 1:38 Stunden geworden. Verdammt, wo habe ich diese 8 Sekunden liegen lassen. Das muss beim nächsten Mal noch besser werden.

 

Moment mal! Beim nächsten Mal? Klar! Alles was während des Laufes war ist der Läuferdemenz zum Opfer gefallen.  Im Kopf ist nur dieser geile Zieleinlauf. Daran ändern auch die Krämpfe nach der anschließenden Massage nichts. Eigentlich lief doch alles ganz prima. Auch die Zeltdusche, in der man zusammen mit hunderten anderen Läufern im knöcheltiefen Wasser steht und die wahrscheinlich dafür sorgt, dass man am Ende Fußpilz an der Unterlippe haben wird kann nichts daran ändern, dass in meinem Kopf schon wieder neue Pläne entstehen. Die Glückshormone beim Zieleinlauf überstrahlen mal wieder alles. Und die Vorfreude auf das große Spaghetti Eis natürlich, welches ohne Reue am heutigen Tag seinen Abnehmer bei mir findet wird. Eines ist klar. In ein paar Wochen bin ich wieder auf dem Weg zum Start und dann denke ich mir wieder: "Warum tue ich mir die Scheiße eigentlich an?"

 

Ist aber völlig sinnfrei darüber nachzudenken, denn es muss getan werden.

 

In diesem Sinne

 

Sven

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Kommentare: 3
  • #1

    Torsten (Mittwoch, 13 April 2016 11:43)

    :D

  • #2

    Silvia (Donnerstag, 14 April 2016)

    Ein toller und unterhaltsamer Bericht - KLASSE - weiter so!

  • #3

    Martin Ludwigshafen (Samstag, 16 April 2016 12:55)

    Glückwunsch!
    Schöner Bericht - motiviert mich für den Lauf in MA am 14.5.16. :-)